Aleppo steht auch am Sonntag unter schwerem Artilleriebeschuss durch die syrischen Regierungstruppen. Betroffen war der südwestliche Stadtteil Salaheddin, das nach Angaben der Aufständischen zur Hälfte von der Freien Syrischen Armee (FSA) kontrolliert wird. Es habe auch Gefechte zwischen Militär und den Aufständischen gegeben, teilten die Syrischen Menschenrechtsbeobachter in London mit. Zu Zusammenstößen kam es außerdem in den Stadtteilen Al-Hamdanija, Al-Sukkari und Al-Ansari.

Ein Sprecher der Rebellen vor Ort sagte, man stelle sich auf eine "starke Offensive" der Regierung ein. Auch die Vereinten Nationen (UN) teilen die Einschätzung, dass in den nächsten Tagen ein größerer Angriff bevorstehe. Ob die Offensive schon begonnen hat, war zunächst unklar. Es ist schwierig, unabhängige Informationen aus Syrien zu bekommen.

Nach Angaben der Armee erhielten die etwa 20.000 um Aleppo postierten Soldaten weitere Verstärkung. "Die Truppen sind jetzt bereit für den entscheidenden Angriff, warten aber auf die Befehle", sagte ein Vertreter der syrischen Sicherheitskräfte der Nachrichtenagentur AFP . "Der Krieg kann sich jedoch in die Länge ziehen, denn zur Vertreibung der Terroristen wird es Straßenkämpfe geben." Die eigentliche Schlacht um Aleppo stehe noch aus. Zur Entlastung Aleppos greifen die Rebellen fast jede Nacht den nahegelegenen Militärflughafen Mannagh an, wo die Armee Hubschrauber stationiert hat.

Schon am Samstag war Salaheddin das Ziel der schwersten Angriffe der Regierungstruppen seit dem Beginn der Kämpfe am 20. Juli. Der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge, die in Opposition zur syrischen Regierung steht, wurden im ganzen Land am Samstag mindestens 205 Menschen getötet – 115 Zivilisten, 52 Soldaten und 38 Rebellen. Zu den Zivilisten zählt die Beobachtungsstelle auch bewaffnete Kämpfer gegen die syrische Regierung, die vorher keine Soldaten waren.

Sind Geiseln Pilger oder Revolutionsgardisten?

Der Fernsehsender Al-Arabija strahlte am Sonntag ein Video mit den in Syrien verschleppten iranischen Geiseln aus. Darin erklärt ein Vertreter der Geiselnehmer, unter den in ihrer Gewalt befindlichen 48 Menschen befänden sich auch Revolutionsgardisten, also Angehörige einer Elitetruppe der iranischen Führung. Ein Syrer in der Uniform der Rebellenarmee FSA hielt ausweisartige Dokumente in die Kamera, die die Zugehörigkeit ihrer Inhaber zu den Revolutionsgarden beweisen sollen. Echtheit und Inhalt des Videos konnten nicht unabhängig überprüft werden. Al-Arabija gehört einem saudischen Geschäftsmann mit enger Bindung an das saudische Herrscherhaus; Saudi-Arabien unterstützt die FSA mit Geld und Waffen.

Nach Darstellung der iranischen Führung soll es sich bei den Verschleppten um muslimische Pilger handeln. Die Regierung in Teheran forderte die Türkei und Katar auf, sich für ihre Freilassung einzusetzen. Iranische Medien machten "bewaffnete terroristische Gruppen" für die Entführung verantwortlich. Der Iran hatte am Samstag gemeldet, dass 48 Pilger auf dem Weg zum internationalen Flughafen von Damaskus entführt worden waren. Das Schicksal der Entführten sei ungewiss, syrische und iranische Stellen bemühten sich um nähere Aufklärung.

In den vergangenen Monaten hatten bewaffnete Gruppen in Syrien 32 Iraner verschleppt, darunter 22 Pilger, sieben Ingenieure und drei Lastwagenfahrer. 27 von ihnen kamen wieder frei, oft mit Hilfe der Türkei. Die syrischen Rebellen sind überwiegend sunnitischen Glaubens. Sie prangern Irans Unterstützung für Assad an, der zur schiitisch-alawitischen Glaubensrichtung gehört.

Der saudische König Abdullah lud den iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad zu einem Gipfel der Organisation für Islamische Kooperation (OIC) am 14. und 15. August in Mekka ein. Dort soll unter anderem über die Lage in Syrien beraten werden. Das Verhältnis zwischen Saudi-Arabien und dem Iran ist wegen der Eskalation in dem Land schwer belastet. Der Iran unterstützt das Regime in Damaskus, Saudi-Arabien hingegen die bewaffneten Aufständischen.

Sorge um wachsende Spannungen in der Türkei 

In der Türkei steigen unterdessen die Spannungen zwischen der alawitischen Minderheit, die zum Teil mit Assads Regime sympathisiert, und der sunnitischen Mehrheit, die auf Seiten der Rebellen steht. Wie die New York Times berichtet, kam es in der Stadt Surgu zu Zusammenrottungen eines Mobs, der "Tod den Alawiten!" rief und Schüsse in die Luft feuerte. Besonders die Flüchtlingslager entlang der türkisch-syrischen Grenze würden von den Alawiten als Brutstätten des Hasses gefürchtet.

Verteidigungsminister Thomas de Maizière ( CDU ) schließt auch nach dem Rücktritt von UN-Sondervermittler Kofi Annan ein militärisches Eingreifen in Syrien aus: "Das Scheitern der Diplomatie darf nicht automatisch zum Beginn des Militärischen führen", sagte de Maizière der Welt am Sonntag . "Es ist zweifellos bitter und frustrierend, auf dieses Morden schauen zu müssen, ohne direkt etwas dagegen unternehmen zu können." Deutschland müsse weiter humanitär helfen und die demokratisch gesinnten Teile der Opposition logistisch unterstützen. "Aber mehr nicht", sagte de Maizière mit Verweis auf die Risiken eines solchen Einsatzes.

Schweiz prüft Aufnahme von Flüchtlingen

Die Schweiz erwägt als eines der ersten europäischen Länder die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen. Man prüfe Möglichkeiten zur Hilfe für eine begrenzte Zahl von Syrern, sagte ein Sprecher des Bundesamtes für Migration in Bern der Neuen Zürcher Zeitung am Sonntag . Der Präsident der Schweizer Polizeidirektoren, Hans-Jürg Käser, befürwortete entsprechende Hilfe für Syrer: "Sie sind in ihrem Heimatland an Leib und Leben bedroht", sagte er der NZZ . Die Schweiz sollte "ein Kontingent an syrischen Flüchtlingen aufnehmen, das stünde unserer humanitären Tradition gut an".

Grünen-Chefin Claudia Roth rief die Bundesregierung auf, Flüchtlinge aus Syrien "unbürokratisch" in Deutschland aufzunehmen. Nach Angaben humanitärer Organisationen wächst die Zahl der Flüchtlinge in Nachbarländern Syriens, wo bereits Zehntausende in Nothilfelagern versorgt werden, täglich um Hunderte. 1,5 Millionen Menschen seien in Syrien auf der Flucht. Das UN-Welternährungsprogramm WFP schätzt, dass drei Millionen Syrer auf Lebensmittelhilfe angewiesen sind.