Die seit Tagen befürchtete Schlacht um Aleppo hat begonnen. Am Samstag dröhnen Kampfhubschrauber im Tiefflug über die Dächer der Stadt, in der 2,5 Millionen Menschen leben. MiG-Düsenjäger operieren am Himmel der syrischen Wirtschaftsmetropole. Im Morgengrauen haben die am Stadtrand aufmarschierten Truppen des Regimes begonnen, die süd-westlichen Bezirke Salah al-Din, Hamdaniya und Fardous mit schwerer Artillerie zu beschießen. Panzer rollen durch die Straßen, während sich die Soldaten den Berichten von Menschenrechtlern zufolge heftige Gefechte mit den in den Wohnvierteln verschanzten Rebellen lieferten.

Auf Videos sind brennende Wohnungen zu sehen. Über den Straßen steigen hohe Rauchwolken auf, die zeigen, wo die Granaten eingeschlagen haben. "Sie belagern unser Viertel", berichtete ein Bewohner Aleppos Reportern des Senders CNN. "Es gibt keinen Strom, das Essen ist knapp." In Panik suchten die Menschen Schutz in den unteren Etagen ihrer Häuser oder flüchteten sich in öffentliche Parks. Tausende hatten sich bereits in den letzten Tagen im Umland in Sicherheit gebracht.

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan erklärte, die internationale Gemeinschaft könne angesichts der Vorgänge nicht weiterhin Beobachter und Zuschauer bleiben. Westliche Staaten hatten tags zuvor vor einem drohenden Massaker gewarnt, während die syrische Staatszeitung Al Watan für Aleppo "die Mutter aller Schlachten" ausrief. Man werde alle Terroristen ausmerzen, und dann werde Syrien wieder auferstehen, propagierte das Regimeblatt.

Die russische Regierung sprach am Samstag von einer "heraufziehenden Tragödie", zeigte aber als langjähriger Verbündeter Verständnis für das Vorgehen von Baschar al-Assad. Es sei unrealistisch zu glauben, eine Regierung könne akzeptieren, "wenn bewaffnete oppositionelle Gruppen eine Stadt wie Aleppo besetzen", erklärte Moskaus Außenminister Sergei Lavrov . In Syrien gäbe es Gewaltexzesse von allen Seiten, sagte er und warf dem Westen vor, die Kämpfer der Opposition zu unterstützen. "Der Preis dafür ist noch mehr Blut." Der Iran bekräftigte durch seinen Energieminister Majid Namjou, Teheran werde Damaskus "in dieser schwierigen Situation nicht alleine lassen".

Abgeordnete flieht in die Türkei

Weite Teile von Aleppo gleichen einer Geisterstadt. Die Rebellen haben in Wohnungen Notlazarette eingerichtet. Ihre Kämpfer jedoch, die sich überwiegend aus Deserteuren rekrutieren, sind den loyalen Truppen Assads bei Ausrüstung und Bewaffnung stark unterlegen. "Nein", antwortete einer ihrer Kommandeure auf die Frage eines CNN-Reporters, ob die Rebellen genug Munition hätten. "Es wird kommen wie in Homs." Dort hatte sich die "Freie Syrische Armee" in bestimmten Stadtteilen verschanzt, die von Assads Truppen dann in wochenlangem Beschuss dem Erdboden gleichgemacht wurden. 80 Prozent von der Stadt Homs sind inzwischen zerstört, mehr als eine Million ihrer Bewohner auf der Flucht.

Am Samstag setzte sich mit Ikhlas Badawi das erste Mitglied des syrischen Parlaments in die Türkei ab. "Ich konnte die Grausamkeiten nicht mehr länger mit ansehen", erklärte die Abgeordnete aus Aleppo und rief ihre Parlamentskollegen auf, sich ebenfalls der Revolution anzuschließen.

Aleppo ist mit ihren 2,5 Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt Syriens und der Wirtschaftsmotor des Landes. Die örtlichen Fabriken produzieren vor allem Textilien und Lebensmittel, Arzneien und Zement. Lange blieb Aleppo von den Kämpfen verschont. Es gab zwar größere Demonstrationen, die meisten Auseinandersetzungen aber beschränkten sich auf das Gelände der Universität. Die Altstadt mit der Zitadelle gehört zum Unesco-Weltkulturerbe, die Stadt selbst ist einer der ältesten urbanen Siedlungsplätze der Menschheit.

Seit osmanischer Zeit ist Aleppo ein bunter Kosmos aus Volksgruppen und Religionen. Die Mehrheit der Bürger sind Sunniten, überwiegend Araber, aber auch Kurden. Alawiten machen etwa fünf Prozent der Bürger aus. In den wohlhabenden Stadtteilen wohnt die größte christliche Minderheit des Landes, zu der vor allem Armenier, Maroniten und Orthodoxe gehören. Wie Damaskus hat auch Aleppo an seinen Rändern große Trabantensiedlungen mit ärmerer Bevölkerung, die in den letzten zwei Jahrzehnten aus dem ländlichen Umland zugezogen ist. Hier vor allem konzentriert sich der Widerstand gegen das Assad-Regime.