Noch ist der syrische Präsident Baschar al-Assad gar nicht gestürzt, da setzen bereits die Machtverteilungskämpfe zwischen den verschiedenen Fraktionen auf syrischem Gebiet ein. Bisher bekannt: Sunniten gegen Schiiten, beide muslimischen Glaubensrichtungen gegen Christen, alle zusammen gegen die Minderheit der Alawiten, zu denen sich auch Assad sowie sein engster Machtzirkel zählen.
Jeder gegen Jeden
Neu hinzugekommen in den syrischen Diadochenkämpfen ist der Streit zwischen islamistischen Rebellen und Milizionären einer Kurden-Partei, der inzwischen in offene Kämpfe mündet und fast 40 Todesopfer gefordert hat. Aus dem türkisch-syrischen Grenzgebiet wird berichtet, dass die islamistische Al-Nusra-Front bei einem Gefecht in dem Ort Ras al-Ain an der Grenze zur Türkei 16 Kämpfer verloren habe. Auf der Seite der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PJD) seien 20 Bewaffnete gestorben.
Die Partei ist der syrische Ableger der Kurdischen Arbeiterpartei PKK, die in der Türkei als terroristische Vereinigung eingestuft wird und verboten ist. Abdullah Öcalan, inzwischen auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali inhaftiert, gründete die PKK am 27. November 1978. Dem Dauer-Bürgerkrieg zwischen türkischer Armee und kurdischen Rebellen in Südostanatolien sind seither mehr als 30.000 Menschen auf beiden Seiten zum Opfer gefallen.
Mini-Guerilla-Armee
Die rund 10.000 Guerilleros der PKK kämpfen mit Waffengewalt für politische Autonomie kurdisch besiedelter Gebiete in der Türkei. Die PKK will einen unabhängigen kurdischen Staates oder ein „Demokratisches Autonomes Kurdistan“ innerhalb der bestehenden Staatsgrenzen mit eigenen „nichtstaatlichen Administrationen“ gründen. Sie begreift ihren Kampf grenzübergreifend und unterhält Schwesterorganisationen in allen Ländern mit großen kurdischen Bevölkerungsanteilen: In Syrien die PJD, im Irak die Partei für eine politische Lösung in Kurdistan (PCDK), im Iran die Partei für ein Freies Leben in Kurdistan (PJAK).
Die Kurden verteilen sich in Vorderasien auf die Staaten Türkei, Irak, Iran und Syrien. Größere Minderheiten gibt es in Aserbaidschan und Armenien. Die rund 25 Millionen Kurden in diesen Siedlungsgebieten bilden das größte Volk der Erde ohne eigenen Staat. In keinem „Gastland“ herrscht großes Interesse an kurdischer Autonomie. Denn ein eigenständiges Kurdistan würde nicht ohne Anziehungskraft auf die Kurden in allen Anrainerstaaten bleiben und zu möglichen Separationsbestrebungen führen.
Unheilige Allianz
Die syrische Opposition behauptet, die syrische Kurdenfraktion kooperiere seit dem Beginn des Aufstandes gegen das Assad-Regime mit den Kräften der wankenden Diktatur. Arabische Stämme im Norden Syriens versuchen nun zu verhindern, dass die Kurden-Parteien die Bürgerkriegswirren nutzen, um in der Region ein Autonomiegebiet einzurichten, vergleichbar mit dem Autonomiegebiet der Kurden im Nordirak. Dort hat sich die mächtige nordirakische Kurdenregion quasi einen Autonomiestatus erkämpft. Es hilft, dass reiche Ölquellen im Nordirak unter kurdischer Kontrolle sind, um der Zentralregierung in Bagdad Paroli in Budget- und politischen Fragen zu bieten.
Die Islamisten aller arabischen Staaten haben Syrien nach dem Irak und Afghanistan als Schlachtfeld erkoren, um ihre anachronistische Vision des Islam zu verwirklichen. Sie lehnen sowohl Assad ab als auch das neue Oppositionsbündnis oder die kurdische PJD. In einem im Internet veröffentlichten Video riefen sie einen „islamistischen Staat“ in der wichtigen syrischen Metropole Aleppo aus. „Wir erklären unsere Ablehnung des konspirativen Projekts, der sogenannten Nationalkoalition“, hieß es in der Erklärung von 13 radikalen Gruppen. Auf der von ihnen benutzten Webseite meldet sich häufig das radikalislamische Netzwerk al-Qaida zu Wort.
Die oppositionelle syrische Dachorganisation unter dem Vorsitz des anerkannten, reformorientierten Islamgelehrten Muas al-Chatib wurde inzwischen von vielen wichtigen Organisationen und Staaten anerkannt, zuletzt von Frankreich, der Türkei und Italien.