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Assads Chemiewaffen USA forcieren Planungen für Syrien-Intervention

Eine Intervention im syrischen Bürgerkrieg galt in den USA lange als undenkbar. Doch nun scheint das Assad-Regime mit der Produktion des Nervengases Sarin begonnen zu haben. Das Pentagon bereitet einen militärischen Eingriff vor, um den Einsatz von Chemiewaffen zu verhindern.
US-Soldaten (im Irak-Krieg 2006): Giftwaffen-Einsatz in Syrien "nicht tatenlos zusehen"

US-Soldaten (im Irak-Krieg 2006): Giftwaffen-Einsatz in Syrien "nicht tatenlos zusehen"

Foto: AFP/ DoD

Es war eine kurze Meldung, die jedoch gewaltige Tragweite haben könnte: Die USA hegten wachsende Zweifel an den Absichtserklärungen Syriens, seine Chemiewaffen in dem dort tobenden Bürgerkrieg nicht einsetzen zu wollen. Washington habe deshalb mit der Notfallplanung begonnen, sagte der Sprecher des Weißen Hauses, Jay Carney, am Montag.

Notfallplanung - das bedeutet, dass das US-Militär nun berechnet, wie viele Soldaten man benötigen würde, um in Syrien einzumarschieren, die Chemiewaffendepots Baschar al-Assads zu erobern und diese zu sichern. Es ist das erste Mal, dass Washington offiziell eingesteht, konkrete Pläne für einen möglichen Einsatz der US-Armee auf syrischem Boden zu schmieden.

Dass das Pentagon schon seit Wochen, wenn nicht Monaten, mit der Planung einer möglichen Invasion in Syrien beschäftigt ist, wurde erstmals Mitte November bekannt. Ein Informant aus der Regierung steckte der "New York Times" damals, das Verteidigungsministerium kalkuliere solche Szenarien. Die Experten seien dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass man mehr als 75.000 Soldaten benötigen würde, um die Depots syrischer Chemiewaffen in amerikanische Hand zu bringen.

Noch habe das Weiße Haus nicht den Auftrag gegeben, den genauen Ablauf eines solchen Einsatzes zu planen, hieß es damals. Ob das immer noch gilt, ist unklar.

Eine 150 Mann starke US-Taskforce in Jordanien

Sicher ist, dass seit einigen Monaten in Syriens Nachbarland Jordanien eine 150 Mann starke US-Taskforce stationiert ist. Die Soldaten, unter denen auch Angehörige von Spezialkommandos sind, sollten dem Königreich einerseits mit der Bewältigung des Flüchtlingsstroms aus Syrien helfen, berichtete die "New York Times" im Oktober. Andererseits sollten die Militärs sich bereithalten, um einzugreifen, falls die syrischen C-Waffen in die falschen Hände gerieten.

Seit August hat Präsident Barack Obama mehrfach angekündigt, dass er einem Giftgas-Einsatz durch das syrische Regime nicht tatenlos zusehen würde. Er könnte demnächst gezwungen sein, dieses Versprechen zu halten: Denn am Montag wurde bekannt, dass Diktator Baschar al-Assad trotz anderslautender Zusagen den Einsatz seiner Chemiewaffen tatsächlich planen könnte.

Amerikanische Nachrichtendienste hätten in der letzten Zeit Aktivitäten beobachtet, die auf die Aktivierung der syrischen Bestände an Sarin-Gas hinweisen könnten, sagten Nato-Diplomaten, die in den vergangenen Tagen von amerikanischen Offiziellen dahingehend unterrichtet worden waren, SPIEGEL ONLINE.

Demnach gebe es konkrete Hinweise, dass das Militär in Syrien die beiden entscheidenden Komponenten zur Herstellung des Nervengases Sarin bereits mische oder dies zumindest zum Gebrauch vorbereite. Auch wenn es bislang keine Indikatoren gebe, dass das Regime das Gas auch einsetzen wolle, hätten die Aktivitäten auf einer oder mehreren Militärbasen die USA extrem alarmiert.

Sarin wird aus einem hochkonzentrierten künstlich erzeugten Alkohol und der Chemikalie Methylphosphonyl hergestellt. Aus Sicherheitsgründen werden die beiden Komponenten immer getrennt aufbewahrt. Offenbar, so jedenfalls die Darstellung der US-Offiziellen, wurden die beiden Komponenten in den vergangenen Tagen auf syrischen Militärbasen an einen Ort zusammengeführt.

Auch die Türkei ist beunruhigt

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"Patriot"-Raketen: Gefragtes Abwehrsystem

Foto: Bernd Wüstneck/ dpa

Diese jüngsten syrischen Machenschaften dürften auch die Türkei beunruhigen. In den vergangenen Monaten haben sich die Vorfälle gehäuft, bei denen Geschosse aus dem syrischen Bürgerkrieg auch auf der türkischen Seite der Grenze niedergingen. Erst am Wochenende war bei einem Bombardement des von Aufständischen gehaltenen syrischen Grenzorts Ras al-Ain ein türkischer Nachbarort in Mitleidenschaft gezogen worden. Getroffen wurde die türkische Stadt Ceylanpinar; unter der dortigen Bevölkerung brach Panik aus. Als Reaktion auf den Beschuss entsandte die Türkei F-16-Kampfflugzeuge an die Grenze.

Die Türkei hat bei der Nato um die Stationierung von Raketenabwehrsystemen gebeten, um Geschosse aus Syrien rechtzeitig abzufangen. Durch die Berichte über die möglichen Maßnahmen des Regimes zur Aktivierung von Giftgas erscheint die Schutzmaßnahme für den Bündnispartner dringender denn je. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sagte dazu, dass der Einsatz von Chemiewaffen "eine unverzügliche Reaktion der internationalen Gemeinschaft" auslösen würde. "Wir wissen, dass Syrien Raketen hat, wir wissen, dass sie chemische Waffen haben. Und natürlich muss das in unsere Kalkulationen einfließen", sagte Rasmussen. "Das ist auch der Grund, warum es dringlich ist, die wirksame Verteidigung und den Schutz unseres Bündnismitgliedes Türkei sicherzustellen."

Die Türkei drängt seit Wochen massiv auf die Stationierung der Schutzsysteme, die ausgestattet mit einem hochsensitiven Radar eine zuverlässige Raketenabwehr darstellen. Deutschland hat sich bereits im Vorfeld bereit erklärt, zwei Batterien mit jeweils rund 85 Mann Personal plus einem weiteren Kontingent von Logistikern und Stabsmitarbeitern in die Türkei zu verlegen. Beschließen die Nato-Außenminister bei ihrer Sitzung am Dienstag in Brüssel den Schutz für die Türkei, will das Kabinett von Angela Merkel bereits am Donnerstag ein dementsprechendes Mandat für den Auslandseinsatz deutscher Soldaten auf den Weg bringen. Das Mandat würde dann in der kommenden Woche dem Bundestag zur Entscheidung vorgelegt.

Berlin drängt innerhalb der Nato darauf, dass die Stationierung der "Patriots" einen rein defensiven Charakter haben soll. Zudem sollen die deutschen Systeme nicht direkt an der Grenze, sondern in einigen Dutzend Kilometer Abstand zum Schutz von Städten aufgestellt werden. Klappt es mit dem engen Zeitplan, könnten die Systeme nach Angaben aus Bundeswehrkreisen wohl schon im Januar 2013 einsatzbereit sein.