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S.P.O.N. - Im Zweifel links Untergang des amerikanischen Imperiums

Romney als Kandidat der Reichen und Obama als Kandidat des Volks - die Deutschen neigen dazu, die US-Wahl als eine zwischen Gut und Böse zu sehen. Das ist ein Irrtum. Egal wer Präsident ist, in Amerika herrscht der totale Kapitalismus. Er hat die Macht, das Land zu zerstören.
Aufräumen nach dem Sturm: Hightech für die Eliten, Entwicklungsland für den Rest

Aufräumen nach dem Sturm: Hightech für die Eliten, Entwicklungsland für den Rest

Foto: LUCAS JACKSON/ REUTERS

Die amerikanische Armee entwickelt eine Waffe, mit der innerhalb einer Stunde jeder Punkt der Welt erreicht - und zerstört - werden kann. Gleichzeitig hängen in Brooklyn, Queens und New Jersey die Stromkabel an Holzpfeilern über der Straße. Der Sturm hat sie fortgerissen, wie in vielen Orten an der Ostküste, und Millionen Menschen sind ohne Strom. Das ist Amerika: Hightech für die Eliten. Entwicklungsland für den Rest. Kein Land hat mehr Nobelpreisträger hervorgebracht als die USA. Aber in New York mussten Krankenhäuser evakuiert werden, weil die Notstromaggregate nicht ansprangen.

Wer das für einen Widerspruch hält, hat nicht begriffen, dass Amerika das Land des totalen Kapitalismus ist. Für dessen Funktionieren sind öffentliche Krankenhäuser nicht notwendig und die Energieversorgung privater Haushalte auch nicht. Die Eliten verfügen über ihre eigene Infrastruktur. Der totale Kapitalismus hat die amerikanische Gesellschaft zerfallen lassen und die Regierung gelähmt. Das Schicksal Amerikas ist kein Betriebsunfall des Systems. Es ist seine Konsequenz.

Obama konnte daran nichts ändern. Romney würde daran nichts ändern. Europa irrt, wenn es die Wahl zwischen den beiden als eine Wahl zwischen Gut und Böse betrachtet. Und eine "Richtungswahl", wie in manchen Zeitungen zu lesen, ist dies gewiss nicht.

Präsident ohne Macht

Romney, der schwerreiche Investmentbanker, und Obama, der kultivierte Menschenrechtsanwalt, sind zwei Gesichter eines politischen Systems, das mit Demokratie, so wie wir sie verstehen, nicht mehr viel zu tun hat. Zur Demokratie gehört die Wahl. Aber eine Wahl haben die Amerikaner gar nicht. Obama lieferte den Beweis. Als er vor fast vier Jahren sein Amt antrat, schien das wie ein amerikanischer Neuanfang. Aber das war ein Missverständnis. Obama hat das Lager in Guantanamo nicht geschlossen, er hat die Immunität der mutmaßlichen Kriegsverbrecher aus der Bush-Administration nicht aufgehoben, er hat die Finanzmärkte nicht reguliert, und vom Klima war im Wahlkampf kaum mehr die Rede. Das Militär, der Apparat, die Banken, die Industrie - gegen ihre Macht ist alle Macht des Volkes nichts, und gegen sie ist auch der Präsident ohnmächtig.

Vermutlich ist es so, dass Obama mehr wollte aber nicht mehr konnte. Doch welche Rolle spielt das?

Wir wollen glauben, dass Obama an den Rechten im eigenen Land gescheitert ist. Und tatsächlich: die Fanatiker, von denen Mitt Romney sich abhängig gemacht hat, haben alles über Bord geworfen, was den Westen ausgezeichnet hat: Wissenschaft und Logik, Vernunft und Mäßigung oder einfach Anstand. Sie hassen die Schwulen, die Schwachen und den Staat, sie unterdrücken die Frauen und verfolgen die Einwanderer, und ihr Abtreibungsmoralismus macht auch vor den Opfern von Vergewaltigung nicht halt. Sie sind die Taliban des Westens.

Für Europa ist es egal, wer die Wahl gewinnt

Aber sie sind das Symptom des amerikanischen Scheiterns. Nicht seine Ursache. In Wahrheit haben in den USA weder die Idealisten der Demokraten noch die nützlichen Idioten der Tea Party Macht über die Verhältnisse.

Aus europäischer Sicht ist es gleichgültig, wer diese Wahl gewinnt. Für uns zählt die amerikanische Außenpolitik. Und da ist Obama keine Taube und Romney kein Falke. Der amtierende Präsident führt seine Kriege zwar lieber mit Drohnen als mit Truppen. Aber den Opfern dürfte es egal sein, ob sie von Menschen oder Maschinen getötet werden. Der Herausforderer seinerseits wird trotz allen Geredes nicht an der Seite Israels in einen Krieg gegen Iran ziehen, den sich die USA nun wirklich nicht mehr leisten können.

Ohnehin ist es falsch, die Republikaner als Partei des Krieges zu bezeichnen und die Demokraten als Partei des Friedens - oder gar als linke Partei. Es waren die Demokraten Harry S. Truman, John F. Kennedy und Lyndon Johnson, die in Korea und Indochina Kriege begonnen haben. Und es waren die Republikaner Dwight D. Eisenhower und Richard Nixon, die diese Kriege beendeten. Und Ronald Reagan, der aus der Sicht europäischer Linker gleichzeitig für das Böse und das Lächerliche der amerikanischen Politik steht, war nach den Maßstäben, an die wir uns inzwischen gewöhnt haben, ein friedlicher Mann. Er hat nur Grenada erobert.

Die Wahrheit ist, dass wir Amerika nicht mehr verstehen. Wenn wir von Deutschland aus dorthin blicken, von Europa aus, sehen wir eine fremde Kultur. Das politische System ist in der Hand des Kapitals und seiner Lobbyisten. Die Checks and Balances haben versagt. Und eine perverse Mischung aus Verantwortungslosigkeit, Profitgier und religiösem Eiferertum beherrscht die öffentliche Meinung.

Der Untergang des amerikanischen Imperiums hat begonnen. Es kann sein, dass ihn die Amerikaner trotz aller Mühe nicht aufhalten können. Aber sie versuchen es nicht einmal.