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Pussy Riot: Neonstrümpfe vor Gericht

Foto: NATALIA KOLESNIKOVA/ AFP

Verfahren gegen Pussy Riot Rache statt Milde

Der Prozess gegen die Protest-Guerilla Pussy Riot beginnt am Montag: Kreml und Kirche wollen ein Exempel statuieren lassen und die Opposition einschüchtern. Den drei jungen Frauen drohen sieben Jahre Haft.

Als Jekaterina Samuzewitsch im vergangenen Jahr Freundinnen mit nach Hause brachte, wirkten die Treffen für ihren Vater Stanislaw harmlos. Die jungen Frauen brachten bunte Kleider mit und Nylonstrümpfe, manchmal malten sie Plakate.

Das war die Gründungsphase von Pussy Riot, einer Moskauer Sponti-Truppe. Die jungen Frauen selbst nannten sich eine "feministische Punk-Band", obwohl Musik nur zweitrangig war. Im Vordergrund standen medienwirksame Protest-Aktionen gegen den Kreml. Mit grellen Kleidern und bunten Sturmhauben kletterten die Frauen auf die Laufstege von Moskauer Modeschauen oder auf das Dach eines Omnibusses. Von dort aus sangen sie dann politische Lieder, deren musikalische Qualität ebenso überschaubar war wie ihre politische Reife. "Putin pisst sich in die Hose", riefen sie im Winter auf dem Roten Platz.

Wer Pussy Riot damals treffen wollte, musste in einen Moskauer Keller hinabsteigen, in einer Buchhandlung hatten die Frauen dort ihr Hauptquartier bezogen. Die Aktivistinnen gaben Journalisten Interview um Interview, und an der Kasse konnte man Wladimir Putin als Hampelmann aus Pappe kaufen. Die Auftritte von Pussy Riot wirkten wie ein harmloser Schabernack.

Für drei junge Frauen ist daraus bitterer Ernst geworden. Ab Montag wird drei der Aktivistinnen der Prozess gemacht, und das Vorspiel und die Unerbittlichkeit, mit der das Verfahren vorbereitet wird, sprechen dafür, dass vor Moskaus Chamowniki-Gericht mehr verhandelt werden wird als die angeblichen Vergehen von Pussy Riot.

Rabatz ausgerechnet dort, wo Putin sein Haupt zum Segen neigt

Ende Februar waren Mitglieder der Gruppe in den Altarraum der Erlöser-Kathedrale in Moskau gestürmt, die wichtigste Kirche der russisch-orthodoxen Kirche. Hier zelebriert der Patriarch Weihnachts- und Ostergottesdienste, bei denen auch regelmäßig Präsident Wladimir Putin und Premier Dmitrij Medwedew ihre Häupter neigen, um seinen Segen zu empfangen. Die Kirche ist einer der wichtigsten Verbündeten des Kreml, deshalb wählte Pussy Riot sie als Ziel der Attacke, die sie selbst "Punk-Gebet" nannten. Die Frauen skandierten damals "Mutter Gottes, vertreibe Putin".

Wenig später wurde Jekaterina Samuzewitsch, 29, festgenommen, ebenso wie Nadedschda Tolokonnikowa, 22, und Maria Aljochina, 24. Ihnen wird Blasphemie und Rowdytum zur Last gelegt, aber behandelt werden die drei jungen Frauen wie gefährliche Gewaltverbrecher. Sie sitzen seit einem halben Jahr ohne Urteilsspruch in Haft. Mitte Juli verlängerten Richter die Untersuchungshaft bis Januar 2013.

Vier Monate nach Putins Wahlsieg bei der Präsidentschaftswahl wirkt das harte Vorgehen gegen Pussy Riot wie eine Abrechnung des Kremls mit seinen Gegnern. Anders als bei der Inthronisierung von Dmitrij Medwedew 2008 war Putins Wiederwahl in diesem Jahr von massiven Protesten begleitet. Bei mehreren Großkundgebungen führte die Opposition bis zu 80.000 Menschen auf die Straße.

Ein Livestream soll die Verhandlung im Chamowniki-Gericht ins Internet übertragen. Das verstärkt nur noch den Eindruck eines Schauprozesses, mit dem der Kreml Moskaus aufmüpfig gewordenen Bürgern Grenzen aufzeigen will. Den jungen Frauen drohen sieben Jahre Haft.

Russlands Orthodoxe Kirche spielt in dem Verfahren die unrühmliche Rolle des Anklägers. Sie hat sich bereitwillig zum Büttel des Regimes machen lassen. Zu einer Zeit, in der sich Spannungen zwischen einem selbstbewusster werdenden Bürgertum und der autoritären Staatsmacht mehren, fällt sie damit aber auf absehbare Zeit als möglicher Vermittler und Friedensstifter aus.

Obwohl zwei der Inhaftierten Mütter von Kleinkindern sind lässt sich die Kirche nicht erweichen. Statt Vergebung, Milde oder Nächstenliebe zu predigen, folgt das Patriarchat dem alttestamentarischen Motto "Mein ist die Rache".

Das war nicht immer so. Patriarch Kirill, Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen und einer der einflussreichsten Männer des Landes, forderte noch Anfang des Jahres in einer Predigt "einen wirklichen Dialog mit den Bürgern, damit das Leben der Nation nicht zerstört wird".

Der Erzpriester setzt Pussy Riot mit Stalin gleich

Inzwischen aber trägt die Kirche selbst kräftig zur Vergiftung des Klimas bei. Patriarch Kirill sprach nach der Attacke gar vom "Teufel, der uns verspottet", ganz so, als sei Satan höchstpersönlich in die Pussy-Riot-Aktivistinnen gefahren. Erzpriester Wsewolod Tschaplin, eigentlich ein gebildeter Mann, setzte Pussy Riot gar mit Stalin gleich, der die Kirche in den zwanziger und dreißiger Jahren verfolgt habe. Damals waren hunderttausende Gläubige und Priester zu Lagerhaft und dem Tod verurteilt worden.

Die Kirche sieht sich selbst als Opfer einer angeblichen Hetzjagd liberaler Kreise. Man habe der "Orthodoxie den Krieg erklärt", schreibt die national-patriotisch gesinnte Zeitung "Sawtra" - und wittert prompt ein ausländisches Komplott.

Beide Lager in diesem Konflikt geben sich zunehmend unversöhnlich. Als eine Pussy-Riot-Unterstützerin Parolen auf den Bürgersteig vor einer Kirche malte, wurde sie prompt zu 20.000 Rubeln Strafe verurteilt, das entspricht einem halben Monatslohn in Moskau.

Auch bei den Kirchengegnern wird die Tonlage zunehmend schriller: Bei Anti-Putin-Demonstrationen berichten die Redner von "faschistischen Haftbedingung", unter denen die Gefangenen angeblich leiden. Und als Patriarch Kirill in der vergangenen Woche zu einem Besuch in der Ukraine eintraf, stürzte sich eine Aktivistin der Gruppe Femen auf ihn. "Kill Kirill" hatte sich die 24-jährige Jana Schdanowa mit schwarzer Farbe auf den nackten Oberkörper gemalt. Im Internet veröffentlichte sie Fotos, in denen sie mit einer Pistole posierte. In St. Petersburg verkündete ein Blogger, er habe sich als Zeichen der Solidarität mit Pussy Riot gar den Mund zugenäht.

Es ist eine aufgeheizte Stimmung, in der die Appelle an die Vernunft immer leiser werden. Einer kam von einem Ausländer. Der britische Sänger Sting, derzeit in Russland auf Konzertreise, erklärte sich auf seiner Webseite mit Pussy Riot solidarisch und bat Kirche und Staatsmacht um ein Einlenken. Meinungsverschiedenheiten seien legitim in jeder Demokratie, Politiker hätten das zu dulden, schrieb der Musiker - und gab auch der Kirche einen guten Rat: "Ein Verständnis für das rechte Maß - und für Humor - sind ein Zeichen von Stärke, nicht von Schwäche."

Korrektur: In einer früheren Version des Artikels hieß es, das Verfahren gegen Pussy Riot werde von Richter Wiktor Danilkin geleitet, der 2011 den Putin-Rivalen und Oligarchen Michail Chodorkowski am Chamowniki-Gericht zu 14 Jahren Haft verurteilt hatte. Das ist falsch, die Richterin ist Marina Syrowa. Wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen.

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