Zum Inhalt springen

Anschlag auf Vertraute des Diktators Angst vor Assads Rache

Der Krieg hat Damaskus erreicht: Diktator Assad hat bei einem schweren Anschlag mehrere enge Vertraute verloren - jetzt fürchten viele Syrer seine Rache. Aus mehreren Stadtteilen werden Kämpfe gemeldet, die USA warnen, das ganze Land gleite ins Chaos ab.
Anschlag auf Vertraute des Diktators: Angst vor Assads Rache

Anschlag auf Vertraute des Diktators: Angst vor Assads Rache

Foto: AP/ SANA

Die Szenen hätten nicht unterschiedlicher sein können. Videobilder, die aus Vororten von Damaskus stammen sollen, zeigen jubelnde Syrer: Väter mit ihren Kindern auf den Schultern, junge Frauen mit der grün-weiß-schwarzen Fahne der Opposition. Sie feierten den Anschlag auf den engsten Kreis um Baschar al-Assad, bei dem an diesem Mittwoch mehrere enge Vertraute des Diktators getötet oder schwer verletzt wurden:

  • Assads Schwager Assif Schaukat, Verteidigungsminister Dawud Radschiha und dessen Vorgänger Hassan Turkmani kamen ums Leben.
  • Innenminister Mohammed Ibrahim al-Schaar soll schwer verletzt sein. Hischam Bachtiar, Chef der Nationalen Sicherheit, soll die Explosion beide Beine abgerissen haben.

Aus den USA klangen dagegen warnende Worte: Syrien drohe nun ins Chaos abzugleiten, sagte Pentagon-Chef Leon Panetta. Es gebe eine Eskalation der Kämpfe.

Panettas Warnung mag zynisch wirken in einem Land, das rund 40 Jahre lang unter dem brutalen Regime der Assads gelitten und seit März 2011 mehr als 17.000 Tote zu beklagen hat. Doch tatsächlich nähert sich der Krieg zwischen Assads Truppen und den Aufständischen jetzt seinem Höhepunkt.

"Wir haben eine Überraschung versprochen, und wir haben sie geliefert", brüstete sich Scheich Mustafa al-Huscheiri, spiritueller Führer einer der bewaffneten syrischen Aufständischengruppen - und kündigte einen weiteren Schlag an.

Fotostrecke

Krieg in Syrien: Tödlicher Anschlag auf Assads Vertraute

Foto: AP/ SANA

Viele Menschen in Damaskus fürchten sich vor dem, was kommt. Das Militär kündigte Vergeltung an. In das Viertel Sajidna Seinab seien bereits am späten Mittwochnachmittag Assad-treue Milizen gestürmt, berichteten syrische Oppositionelle des Lokalen Koordinierungsrats. Aus mehreren anderen Stadtteilen wurde Beschuss aus Helikoptern berichtet.

"Die kommenden Tage werden schrecklich", sagte ein Familienvater aus dem Damaszener Viertel Midan SPIEGEL ONLINE. Er wohnt im Norden des Viertels, wo es anders als im südlichen Teil bisher keine Kämpfe gegeben hat. Ebenfalls aus Midan berichtete die syrische Menschenrechtlerin Rasan Ghassawi in ihrem Blog, es würden Atemschutzmasken an Aktivisten und Anwohner verteilt. Gerüchte machten die Runde, das Regime wolle Giftgas gegen das aufständische Viertel einsetzen.

Wie stark die Rebellen inzwischen sind, ist noch immer unklar. Journalisten, die sich in den vergangenen Wochen im Land aufhielten, hatten den Eindruck, dass die im Land verstreuten Milizengruppen sich untereinander kaum absprechen. Doch der Bombenanschlag auf Assads Sicherheitsberater setzt ein hohes Maß an Planung und Koordinierung voraus - sowie Kontakte zu Insidern.

In syrischen Sicherheitskreisen wurde ein Leibwächter für den Angriff verantwortlich gemacht. Gleich zwei Gruppen bekannten sich zu dem Anschlag: Die islamistische Rebellenorganisation Liwa al-Islam erklärte, man habe das Krisenkontrollzentrum angegriffen. Es habe sich jedoch nicht um einen Selbstmordanschlag gehandelt. Die Freie Syrische Armee, in der Rebellen lose zusammengeschlossen sind, bekannte sich über einen Sprecher ebenfalls zu dem Angriff. "Das ist der Vulkan, von dem wir gesprochen haben. Wir haben gerade erst begonnen", hieß es in einer Stellungnahme. Die Aufständischen haben vor wenigen Tagen angekündigt, Damaskus nun "befreien" zu wollen.

Sollte tatsächlich eine der großen Aufständischengruppen hinter dem Anschlag stecken, wären die Rebellen deutlich stärker als bisher angenommen. Den Aufständischen dürfte in die Hände spielen, dass die Zahl der Deserteure nach dem erfolgreichen Anschlag rasant zunimmt. Aktivisten berichteten, dass sich am Mittwoch angeblich teils komplette Armeeeinheiten aus dem Staub machten.

Assads Milizen agieren im Schutz der Nacht

Das Gros der Armee aus Wehrpflichtigen sowie die unteren Ränge der Geheimdienste bestehen aus Sunniten. Für sie ist die Versuchung überzulaufen groß. Sie können darauf hoffen, im Nach-Assad-Syrien schnell wieder einen Platz zu finden.

Entscheidend ist nun jedoch, wie sich die Soldaten der Armeespezialeinheit und die regimetreuen Milizen verhalten. Ein Großteil dieser Soldaten und Schergen entstammt Minderheiten wie den Alawiten, denen auch Assad angehört. Diese Syrer müssen damit rechnen, selbst im Falle einer Desertion bei den Sunniten auf Misstrauen und Hass zu stoßen. Das könnte dazu führen, dass sie verbittert bis zum Letzten kämpfen. Internationale Beobachter warnen daher vor der Gefahr eines langen Bürgerkriegs.

Bisher haben Assads Milizen meist im Schutz der Nacht agiert. Wenn Armeeeinheiten Städte aus der Luft oder mit Artilleriefeuer angegriffen hatten, zogen die Milizen als Bodentruppen ein, plünderten und attackierten Familien von Aktivisten, aber auch Zivilisten. Viele Syrer fürchten, dass diese brutalen Milizen nun auch auf die Vororte von Damaskus losgelassen werden. Oppositionelle der lokalen Koordinierungsräte berichteten, dass am frühen Abend die Armee in mehreren Städten Syriens sowie in Vororten von Damaskus das Artilleriefeuer eröffnet habe. Teils sei auch aus Helikoptern geschossen worden. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete am Abend, auf dem damaszener Hausberg Kasiun zusammengezogene Soldaten würden die Stadtviertel Mezze und Mudamija mit schweren Waffen beschießen. Videos, die im damaszener Vorort Harasta gemacht worden sein sollen, zeigten keine feiernden Menschenmassen mehr, sondern leere Straßen - unter den dumpfen Klängen von Schüssen.

"Wir sind froh über den Tod der Minister", sagt der syrische Familienvater aus Midan, "aber wir haben Angst, davor, was nun passiert."

Mit Material von dpa