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Fotostrecke

Auschwitz-Fotograf Brasse: "Ich wusste, dass sie sterben würden"

Foto: CZAREK SOKOLOWSKI/ ASSOCIATED PRESS

Zeitzeugen Auschwitz-Fotograf Wilhelm Brasse ist tot

Er war Zeuge und gezwungenermaßen Dokumentar des deutschen Vernichtungswahns: Im Alter von 95 Jahren ist der "Fotograf von Auschwitz", Wilhelm Brasse, gestorben. Seine Bilder zeigen zu Tode geängstigte Menschen, Opfer von Medizinversuchen - und entspannte SS-Leute.

Warschau - Rechtes Profil, die Haltestange tief in den Hinterkopf gedrückt. Frontalaufnahme, Häftlingsnummer und Stern gut sichtbar auf der linken Brustseite. Und schließlich das Halbprofil von links, mit Käppi. Die zahllosen Aufnahmen, die Wilhelm Brasse im Konzentrationslager Auschwitz von Gefangenen machte, sind erschütternd, anrührend, ein irritierendes Dokument deutscher Gründlichkeit bei der Erfassung der eigenen Vernichtungswut.

Brasse kam am 31. August 1940 ins Konzentrationslager Auschwitz. Er war bei dem Versuch, die Grenze zu Ungarn zu überqueren, von Deutschen gefangengenommen worden war.

Weil er Deutsch sprach und in Kattowitz eine Lehre als Fotograf abgeschlossen hatte, setzte ihn die SS als Fotograf beim Erkennungsdienst ein. Hier lichtete er laut eigener Aussage bis zum Jahr 1943 zwischen 40.000 und 50.000 Häftlinge ab. Oft habe er sich geschämt im Angesicht der leidenden, zu Tode verängstigten Menschen, die er porträtieren musste, sagte er später. Hätte er die Arbeit verweigert, wäre er unweigerlich ein toter Mann gewesen.

Brasse porträtierte auch SS-Männer: "Mehrere hundert insgesamt, sie brauchten Bilder für die Lagerausweise und für ihre Frauen", sagte er der "Süddeutschen Zeitung" im Mai 2010. "Setzen Sie sich bequem hin, entspannen Sie sich, denken Sie an Ihr Vaterland", habe er zum Beispiel dem Untersturmführer Grabner geraten, berichtete Brasse. Der Nazi habe daraufhin milde gelächelt. Später wurde er wegen Mordes in mindestens 25.000 Fällen zum Tode verurteilt.

Auch die medizinischen Experimente des berüchtigten Arztes Josef Mengele musste Brasse mit der Kamera dokumentieren, außerdem Sterilisationen, die ein jüdischer Arzt und Häftling an Frauen durchführte. "Ich wusste, dass sie sterben würden", sagte Brasse im Januar 2005 dem britischen "Guardian". "Sie wussten es nicht. Sie waren so voller Leben und so schön."

Auch an die über 800 russischen und polnischen Opfer der ersten Zyklon-B-Experimente erinnerte sich Brasse mit Grauen. Im September 1941 wurden sie brutal im Block 11 getötet, Brasse musste die Szene filmen.

Besonders abstoßend sei die sadistische Freude der SS-Leute gewesen, mit der sie zu Werk gegangen seien. "Ich habe die Szenen aus dem Film nie vergessen und werde sie auch nie vergessen." Ab Juli 1943 verzichtete das Reichssicherheitshauptamt in Berlin darauf, weiter Häftlinge zu fotografieren und tätowierte ihnen stattdessen Nummern auf den Unterarm. Grund war der Mangel an Fotomaterial. Nur noch deutsche Gefangene wurden bis Januar 1945 fotografiert.

Obwohl Brasse kurz vor der Befreiung des Lagers im Januar 1945 den Auftrag bekam, sämtliche Materialien zu vernichten, tat er dies nur teilweise und bewahrte so die wertvollen Beweismittel. Er zündete Abzüge und Negative auf Geheiß seines Vorgesetzen an, löschte aber das Feuer, sobald dieser den Raum verlassen hatte.

Kurz vor der Befreiung wurde Brasse ins KZ Mauthausen deportiert, wo er fast verhungerte. Am 5.Mai 1945 befreiten die Amerikaner das Lager. Brasse heiratete, lebte ein bürgerliches Leben. Er versuchte es erneut mit der Porträtfotografie, vergeblich, denn die Vergangenheit ließ ihn nicht los. "Immer wenn ich durch den Sucher sah, tauchten die jüdischen Mädchen auf."

Auch ältester Auschwitz-Überlebender gestorben

Bereits am Sonntag verstarb Antoni Dobrowolski, ehemaliger Widerstandskämpfer und Auschwitz-Häftling mit der Lagernummer 38081. Er wurde 108 Jahre alt.

Der ehemalige Grundschullehrer hatte sich nach dem deutschen Überfall auf Polen einer geheimen Lehrerorganisation angeschlossen, die im Untergrund ein Schulwesen organisierte. Die Tajna Organizacja Nauczycielska war eine in ganz Europa einzigartige Form des Widerstands und stand der Londoner Exilregierung nahe.

Die Nationalsozialisten hatten alle höheren Schulen und Universitäten geschlossen; in einigen der von Deutschland besetzten Gebiete war selbst der Grundschulunterricht schweren Beschränkungen ausgesetzt. Die Polen sollten nach den Plänen der Nationalsozialisten ein Volk von Arbeitssklaven werden.

In Privatwohnungen organisierten Lehrer wie Dobrowolski und Schüler insgeheim Unterricht vor allem für Gymnasialklassen und Studenten. Einer der vielen tausend jungen Polen, die im Untergrund lernten, war Karol Wojtyla, der spätere Papst Johannes Paul II.

Im Juni 1942 wurde Dobrowolski von der Gestapo verhaftet und nach Auschwitz deportiert. Das sogenannte Stammlager war zunächst ein Konzentrationslager mit vor allem politischen polnischen Häftlingen, doch im nahe gelegenen Birkenau hatte bereits der Massenmord an jüdischen Häftlingen begonnen. Insgesamt wurden in Auschwitz-Birkenau mehr als 1,1 Millionen Menschen ermordet.

Dobrowolksi wurde später nach Groß-Rosen verlegt und erlebte die Befreiung durch sowjetische Truppen im Konzentrationslager Sachsenhausen. Nach dem Krieg arbeitete er in Polen wieder als Lehrer.

ala/dpa
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