EX-US-Außenminister Henry Kissinger (89) über die Unruhen in Nahost und Angst vor einem neuen Krieg: Ich habe den Arabischen Frühling immer kritisch gesehen

Von: Von STEPHANIE BILGES​

Er war Nationaler Sicherheitsberater, US-Außenminister (1973-1977) und gilt noch heute als einer der profiliertesten Köpfe der internationalen Politik.

BILD.de traf Henry Kissinger zum Interview im Schlosshotel Grunewald.​

BILD: In Libyen wird der US-Botschafter ermordet, in Ägypten, im Jemen, im Sudan attackiert ein wütender Mob westliche Botschaften, es gab Tote und Hunderte Verletzte. Müssen wir Angst vor einem neuen Krieg haben?​

Henry Kissinger: Wir müssen zunächst mal erkennen, dass die Entwicklung in der arabischen Welt hin zur Demokratie ein sehr langsamer Prozess ist. Es ist so gut wie unmöglich, dass aus politischen Parteien, die das Scharia-Recht verteidigen, demokratische Parteien werden. Das ist das Dilemma, das wir im Moment haben, da sollten wir uns nichts vormachen.​

BILD: Heißt das, Islam und Demokratie sind unvereinbar?

Kissinger: Das habe ich nicht gesagt. Aber wenn Staat und Religion nicht zu einem gewissen Teil getrennt sind, wenn man darauf besteht, dass Staat und Religion identisch sind, dann ist es fast unmöglich, dass sich andere Meinungen entfalten können. Es ist doch eine absurde Situation, dass ein kleines Video, das in Amerika niemand kannte, von dem die US-Regierung nichts wusste, zu solchen Gewaltausbrüchen führt!​

BILD: US-Präsident Obama ist im Vergleich zu seinem Vorgänger George W. Bush mit offenen Armen auf die arabischen Staaten zugegangen. Wenn man sich den Hass anschaut, der jetzt aufflammt, scheint seine Strategie komplett gescheitert zu sein...​

Kissinger: Auch Bush war sehr offen für gute Beziehungen mit der arabischen Welt, das wird oft fälschlicherweise nicht anerkannt. Obama hat angemessene Schritte getan. Jetzt muss von islamischer Seite ein Zeichen kommen.​

BILD: Es scheint, als könnten die USA tun, was sie wollten - in der arabischen Welt werden sie gehasst. Ist das das Schicksal Amerikas?​

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Kissinger: Das Ziel von Außenpolitik ist nicht, geliebt zu werden, sondern eine Basis für gemeinsame Interessen und gemeinsames Handeln zu finden. Außerdem werden nicht nur die USA attackiert, sondern auch andere westliche Staaten, wie der Angriff auf die deutsche Botschaft im Sudan zeigt.​

BILD: Viele Menschen sagen, der sogenannte arabische Frühling sei inzwischen zum islamistischen Winter geworden. Sehen Sie das auch so?​

Kissinger: Ich habe den arabischen Frühling nie so wahrgenommen, wie er in weiten Teilen der westlichen Welt gesehen wurde. Nehmen wir Ägypten: Dort haben 75 Prozent der Wähler für Muslimbrüder und radikale Islamisten gestimmt. Das bedeutet nicht, dass man keine guten Beziehungen zu Ägypten haben kann. Ich hatte zu meiner Amtszeit sehr gute Beziehungen zu Präsident Sadat, das war und ist im nationalen Interesse beider Staaten. Dennoch leben wir nicht unbedingt in der gleichen Wertegemeinschaft.​

BILD: Sie engagieren sich für den Wiederaufbau des Berliner Schlosses. Warum ist Ihnen das so ein Herzensanliegen?​

Henry Kissinger: 1946, als junger Mann, habe ich erstmals Berlin besucht. Damals war das Schloss ein Trümmerhaufen. Später habe ich auf Bildern gesehen, wie es im 19. Jahrhundert aussah. Als ich dann im Jahr 1993 einmal zu Besuch war, war gerade die Schloss-Atrappe installiert worden. Das hat mich sehr bewegt und mein Bewusstsein dafür geschärft, was für ein wichtiges Symbol das Schloss ist.​

BILD: Wofür steht das Schloss?​

Kissinger: Es ist für mich ein Symbol für die Geschichte und für die Zukunft Deutschlands. Es steht für eine besondere Form des Patriotismus und der Hingabe. Ich bin sehr beeindruckt von dem außergewöhnlichen Engagement des Fördervereins und unterstütze das gern.​

BILD: Berlin gilt heute als eine der spannendsten Städte der Welt und zieht Millionen Touristen an. Was empfinden Sie, wenn Sie heute hier sind?​

Kissinger: Als ich zum ersten Mal hier war, war Berlin eine Ruine. Ich erinnere mich noch, dass es keine Bäume in der Stadt gab, weil das gesamte Holz gebraucht wurde, um durch den Winter zu kommen. Heute ist Berlin so etwas wie die europäische Hauptstadt des 21. Jahrhunderts. Ich bin bestimmt zwei- bis dreimal im Jahr hier. Vor zwei Jahren habe ich mit meinem Enkel eine Bootsfahrt auf der Spree gemacht. Und ich gehe fast jedesmal, wenn ich in Berlin bin, in ein Museum.​

BILD: Sie waren am letzten Freitag eine Stunde lang bei der Kanzlerin. Worüber haben Sie gesprochen?​

Kissinger: Über alles Mögliche. Sie ist eine alte Freundin. Ich kenne sie seit vielen Jahren und bewundere sie sehr.​

BILD: Am Samstag haben Sie in Ihrer Heimatstadt Fürth das Fußballspiel Ihres Lieblingsvereins Greuther Fürth gegen Schalke (0:2, d.Red.) besucht. Sind Sie wirklich noch Fan?​

Kissinger: Ja, und zwar seit 75 Jahren. Es ist eine Verbindung mit meiner Jugend. Die Deutsche Botschaft in Washington hat mir über viele Jahre regelmäßig die Spielergebnisse übermittelt, und ich habe immer gesagt: Wenn die Mannschaft in die erste Liga aufsteigt, komme ich ins Stadion!​

BILD: Wie oft besuchen Sie Ihre alte Heimat?​

Kissinger: Ich war viele Male dort, erst kürzlich mit meinem Sohn und zwei meiner Enkelkinder. Ich wollte, dass sie sehen, wo ich aufgewachsen bin und habe ihnen auch das Grab meines Großvaters gezeigt.​

BILD: Sie sind 89 Jahre alt, reisen noch immer um die Welt und haben einen vollen Terminplan. Wie schaffen Sie es, so fit zu bleiben? ​

Kissinger: Sehe ich etwa fit aus? Das sieht mein Arzt aber anders (lacht). Im Ernst: Meine El­tern sind beide 98 geworden. Offenbar habe ich einfach gute Gene. Und da das Berliner Schloss 2018 fertig sein soll, habe ich einen wichtigen Grund, noch mindestens so lange zu leben.

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